Wie es dazu kam

"Hey, eine Woche vor der Etape ist das Marmotte, die gleiche Strecke nur andersrum und ein paar Höhenmeter mehr, machen wir das?"

Und so ging die Geschichte los. Es war schon mitten im Juni und die Reiseplanung fast abgeschlossen. Glücklicherweise bekamen wir noch eine ganz günstige Unterkunft in Les Deux Alpes. 20 hauptsächlich abwärts führende Kilometer vom Start des Marmotte Granfondo Alpes in Le Bourg d'Oisans entfernt. Die ideale Vorbereitung auf die Etape du Tour.

Die Strecke

Glandon, Télégraphe, Galibier, Lautaret, Alpe d'Huez, jeder Begeisterte Radler kennt diese Namen. Das Marmotte Granfondo Alpes kombiniert diese Pässe zu einem schönen Jedermannrennen. Gut organisiert auf teilweise gesperrten Straßen und mit einer Fülle an Verpflegungsstationen. 175 km, davon ca. 35km flach. Der Rest sind die Auf- und Abfahrten mit insgesamt fast 5000 Höhenmetern.

Der Start

Gegen 6 Uhr sind wir aus Les Deux Alpes losgerollt. Es ist ein ungewöhnlich warmer Sommer und schon beim Öffnen der Balkontour beschlossen wir auf die wärmenden Teile der Radfahruniform zu verzichten. Bei gut 16 Grad auf fast 1700 Metern Höhe auch im Nachhinein eine gute Entscheidung. Schon früh sahen wir viele unserer Leidensgenossen des Tages. Auf dem Rad oder auch im Auto. Mit zunehmender Nähe zu Le Bourg d'Oisans wurden es immer mehr. In der Stadt angekommen dann eine hervorragende Organisation. Anhand unserer Nummerntafeln werden wir von zahlreichen Helfern in den richtigen Startblock gelotst. 6000 Fahrer:innen starten in drei Wellen.

Losrollen im Feld

Die ersten Kilometer sind komplett gesperrt. Schnell sortiert sich das Feld in eine schnelle und eine langsame Reihe. immer wieder treffe ich die Entscheidung springen oder bleiben. Meistens springe ich mit. Irgendwann stabilisiert sich die Lage und eine kleines Grüppchen bildet sich. Nach weniger als 20 km sind wir im ersten Anstieg. Jetzt schnell umschalten, von Lücke schließen zum eigenen Tempo. Ich strebe eine Klettergeschwindigkeit von 800m / Stunde an.

Col du Glandon

Essen nicht vergessen! Fünf Riegel sind das Startkapital und die ersten 1300 Höhenmeter am Glandon zu überwinden. Eine schier endlose Schlange von Fahrrädern schraubt sich gemächlich die Straße hoch. Es ist Ruhe im Feld und es wird mit zunehmender Höhe nicht kühler. Der Tag wird hart werden. Fast oben werden wir mit einem gigantischen Ausblick belohnt. Die erste Verpflegungsstation ist nicht mehr weit.

Die erste Abfahrt

Ein Fläschchen für die Abfahrt voll gemacht und am Buffet am glandon ein Bisschen Zucker und Salz gegessen. Die Abfahrt ist durch die Organisatoren entschärft und aus der Zeit genommen. Vielleicht auch deshalb fahren alle sehr diszipliniert. Es ist eng und unübersichtlich. Jede Kehre und gefährliche Stelle ist aber von Helfern mit Fahnen und Pfeifen markiert. Trotzdem fahre ich an zwei Stürzen und mehreren Pannen vorbei. Nach 5km wird die Abfahrt flacher und einfacher. Zeit zum Essen. Es ist heiß geworden. Nach einer ruhigen Abfahrt fahren wir über die Zeitschleife, an die die Zeitnahme weitergeht. Ein paar wellige und windige Kilometer durchs Maurienne-Tal folgen. Die Gruppen werden kleiner und ich verrichte meinen Teil der Führungsarbeit für den Tag. Wir kommen am Fuße des Col du Télégraphe an. 2000 Höhenmeter sind bis zum Galibier zu überwinden.

Der Télégraphe

Es wird voller. Seit dem Maurienne-Tal teilen wir uns die Straße mit dem motorisierten Verkehr. Meistens kommen die Fahrzeuge von hinten. Der Galibier ist in Gegenrichtung gesperrt daher gibt es nicht zu viel Durchgangsverkehr. Es ist noch immer voll auf der Straße. Die Klettergeschwindigkeiten variieren stark. Und ich merke zum ersten Mal, dass der Tag sehr hart wird. Ich bin noch nicht akklimatisiert und die mittlerweile über 30 Grad in der Sonne machen mir zu schaffen. Der Anstieg zum Galibier wird durch den Télégraphe kurz unterbrochen. Wir lassen die Verpflegung links liegen und fahren weiter in Richtung Valloire. Dort haben wir die Hälfte der heutigen Strecke geschafft.

Der Galibier

Der Col du Galibier ist 2630m hoch. Der Anstieg aus dem Maurienn-Tal hart, in der zweiten Hälfte extrem exponiert und am Ende brutal steil. Ausgangs der langen, steil ansteigenden Geraden von Valloire merke ich meinen Kopf. Die Höhe fängt an mir zu schaffen zu machen. Ich werde langsamer und fange an mit meinem Stoffwechsel zu kämpfen. Ich bin nicht der Einzige. In den wenigen schattigen stellen an Falsen und Büschen neben der Straße sitzen und liegen viele der Leidensgenossen. Einige schieben ihr Rad. kurz vor dem Col ruft ein Helfer: "Arriver au pied, c'est aussi arriver" und einen der schiebenden zu motivieren. Wir kommen oben an. 40 Kilometer Abfahrt stehen bevor. Aber erstmal Flüssigkeit, Zucker und Mineralien auffüllen.

Abfahrt vom Galibier

An dieser Stelle müssen einfach mal die Photographen von PhotoBreton erwähnt werden. Ich glaube ich habe weniger als die Hälfte der Stellen wahrgenommen, an denen sie gestanden haben. Aber tolle Photos sind dabei herum gekommen. So auch hier auf der Abfahrt vom Galibier, wo ich das Glück hatte, relativ frei herunterrollen zu können. Die ruckeligen Passagen, die ich noch aus dem letzten Jahr kenne sind ausgebessert worden. Eine tolle Abfahrt auf der flacheren Seite des Galibier, die wir bei der Etape du Tour erklimmen werden. Am Col du Lautaret vorbei geht es nun herunter zurück nach Le Bourg d'Oisans. Die Vorbereitung auf das Finale beginnt.

La Barrage du Chambon

Hier warten unsere Edelhelfer und Edelfans auf uns. 10 km vor dem Schlussanstieg und bewaffnet mit Trikot, Plakaten, Keksen, Croissants und Cola. Einfach hereusragend. Wir sehen mindestens 100 Räder an uns vorbeirauschen während wir unsere Extrapause machen.

Alpe d'Huez

Einundzwanzig Kurven. Genaugenommen sind es mittlerweile zwei oder drei mehr, denn nach dem Erreichen der Vieille Alpe geht es noch ein paar Kurven weiter nach oben. Ich kenne die Strecke. Letztes Jahr war ich zum ersten Mal mit dem Fahrrad oben. Auf Zwift bin ich die Strecke wohl 50 mal gefahren. Ich kenne jede Kurve. Aber noch nie habe ich das bei 35°C im Schatten gemacht. Und noch nie mit fast 4000 Höhenmetern in den Beinen. Alle versuchen so viel Schatten wie möglich abzubekommen. Menschen liegen auf der Straße, sitzen auf den Leitplanken und baden in den Wasserkanälen entlang der Straße. Ab Kurve 16 plagen mich Krämpfe. Ich weiß nicht, ob es die fehlende Akklimatisierung, zu wenig Essen oder was auch immer ist. Ich quäle mich die letzten Kurven hinauf. Das Ziel im Blick weiß ich noch nicht, dass mich heute noch ein weiterer Anstieg erwartet.

Das Ziel

Zielphoto, Medaille, Pastaparty, Cola. Am Ende ist es gar nicht mal so spektakulär. Es beruhigt mich, dass keum jemand noch fähig ist aufrecht zu stehen. Aber alle haben irgendwie ein zufriedenes Lächeln im Gesicht. Bei mir braucht es ein paar Minuten, bis sich die anspannung löst. Neben uns bekommt ein Fahrer so starke Krämpfe, dass er medizinisch betreut werden muss. 10 Stunden haben wir inklusive Pausen im Sattel verbracht. Noch kann ich mich nicht so richtig auf die Etape du Tour freuen. Die Beine sind leer.

Nachtrag

Es hat uns nicht so richtig interessiert, dass wir direkt hinter den Toiletten auf der Wiese lagen. Wir schrauben uns unsere — wirklich nicht so guten — Nudeln rein und machen uns, geplagt von Krämpfen, mit dem Gedanken vertraut gleich nochmal aufs Rad steigen zu müssen. Das Auto ist kaputt, 1000 Höhenmeter liegen zwischen uns und unserem Bett. Im Anstieg nach Les Deux Alpes wird es langsam dunkler. Ein Gewitter zieht auf. Gegen 22:00 Uhr erreichen wir pitschnass unsere Unterkunft. Fast 6000 Höhenmeter haben wir zurück gelegt. Eine gelungene Vorbereitung.