"Einfach mal so machen"
"Ein Mann, ein Wort"

Zu leugnen, die Aktion wäre von langer Hand geplant wäre nicht ganz angemessen.
Am Ende ging es dann aber doch relativ spontan los.
Ein Erfahrungsbericht und eine Liste von Dingen, wie man es vielleicht besser nicht noch einmal machen sollte.

Für alle nicht-Radfahrer – bei der Everest Challenge geht es darum 8848m, die Höhe des Mt. Everest, an einem Tag zu erklettern. Dabei gilt es ein paar Regeln zu befolgen:

  • Es muss der gleiche Anstieg aufwärts und abwärts gefahren werden.
  • Es darf zwischendurch nicht geschlafen werden.
  • Insgesamt muss der Anstieg mehr als 8848 Höhenmeter betragen.
Alles in Allem ist das eine ziemlich bekloppte Idee. Aber wie schon ein gewisser Captain Kirk zu seinem ersten Offizier Commander Spock sagte, auf die Frage warum man einen Berg besteige: Weil er da ist.

From preparation to finishing

La Montée de Risoul 2024

Wie es dazu kam

Der Anstieg in Huez hatte micht angelacht. Er ist aber einfach sausteil. Der Hügel an unserem häufigen Feriendomizil in Risoul ist gar nicht so verschieden und doch ca. 1,5% flacher. 13km, 6,8%, 900Hm, bis auf 1875m Seehöhe. Genau 10 Wiederholungen für den Everest, die Unterkunft bei ca. einem Drittel des Anstiegs. Viel besser geht es kaum.

Der Start im Dunkeln

Anfang August kann man mit ca. 16 Stunden Tageslicht rechnen. von kurz vor sechs Uhr morgens bis kurz vor 10 Uhr Abends. Im Dunkeln rolle ich gegen 05:30 Uhr die 250 Höhenmeter ins Tal um dort den ersten Anstieg zu beginnen. Die Sterne verblassen im falen Morgenlicht. Der Saturn steht noch hoch über den Bergen. Es ist still. Im Licht meines Scheinwerfers beginne ich ruhig mit dem ersten Anstieg.

Ein erster Anstieg

Die ersten 100m beinhalten eine der steilsten Rampen des Anstiegs nach Risoul. Ganz im Sinne des Everestings nimmt diese Klippe den Schwung den man aus der Abfahrt durch den Kreisverkehr mitnehmen könnte. Danach geht es bei 6% Anstieg durch La Rua, das Bürgermeisterdorf von Risoul. Ich fahre den ersten Anstieg ruhig – weit unter meiner Schwelle. Oben angekommen ist das Alpenglühen schon fast vorbei. Die Sonne lässt sich zum ersten mal blicken und die kühle der Nacht verschwindet.

So langsam im Flow

Den unteren Teil des Anstiegs kenne ich gut. Nach jeder zweiten Tour komme ich hier lang nach Haus. Allerdings bin ich von dort selten bis oben gefahren. Die alternative Route über Les Isclasses hat weniger Verkehr und ist etwas anspruchsvoller. Die Straße wurde allerdings bei einem Erdrutsch beschädigt und ist noch nicht wieder geöffnet. Nach den Vorbereitungstouren und dem zweiten Anstieg wird mir auch der untere Teil vertrauter. Ich komme in den Flow und brauche nur knapp über eine Stunde für den zweiten Anstieg. Die Abfahrt auf hellen und noch leeren Straßen läuft super.

Essen nicht vergessen

Hinter La Rua flacht der Anstieg für ein paar hundert Meter ab. Ich habe mir vorgenommen hier zu Essen. Genug Zeit für eine Banane oder eine Waffel oder was auch immer. Wie immer, wenn es sich organisieren lässt, versuche ich so lange wie möglich "normales" Essen zu mir zu nehmen. Pro Runde habe ich zudem eine Flasche mit ca. 50g Isopulver mit.

Planänderung

Die ersten Anstiege laufen super. Der Hintern fühlt sich auch noch gut an (Referenz zu Rad am Ring) und so beschließe ich, den ersten Stint auf vier Runden zu verlängern. Noch hat die Hitze des Tages den Berg nicht ganz im Griff. Ganz im Gegenteil, der leichte Wind macht das Fahren vor allem oberhalb von Langieu, dem zweiten Dorf am Anstieg auf 1200 Metern, ziemlich angenehm.

Pause!

Einer der Vorzüge bei dieser Aktion ist ohne jeden Zweifel das gut ausgestattete Basislager direkt an der Strecke. Nach 3600 Höhenmetern komme ich auf der Abfahrt an unserer Unterkunft vorbei. Duschen, Essen, umziehen. Ich liege gut in der Zeit mit Brutto unter eineinhalb Stunden pro 900 Höhenmetern. Es sieht so aus, als könnte das aufgehen.

Es wird heiß

Für die mittleren Anstiege habe ich mir die hellen Trikots rausgelegt. Wie so oft fahre ich noch immer mit Armlingen. Nass gehalten kühlen sie super und halten die brennende Mittagssonne von der Haut fern. Das Basislager in Gaudissard liegt nur eine kurze Rampe hinter dem vorherigen Dorf. Hier knallt die Sonne so richtig auf die Straße. In den folgenden sieben Serpentinen mache ich nun, auf dem fünften Anstieg, zum ersten mal Bekanntschaft mit dem wirklichen Gegner des Tages.

Von Murmeltieren und Eichhörnchen

Nein, es sind keine wilden Säugetiere. Aber ganz mühsam sammle ich meine Höhenmeter und Wiederholungen und ernähre mich fortan gefühlt zu 50% von dem Fliegenschwarm der mich, trotz frischer Anziehsachen, dauerhaft umkreist. Es braucht nun eine clevere Atemstrategie um nicht Gefahr zu laufen, an einem dieser Biester zu ersticken. Die Ersten beiden Rampen hinter Gaudissard sind noch relativ flach. Ab Kurve sechs beginnt der Spaß. Und es wird zunehmend anstrengender.

Ein leeres Haus

Als ich vergangene Woche Lasse auf einer seiner Trainingsfahrten begleiten durfte – wir sind Intervalle gefahren – haben wir gesagt: Nach dem siebten von 10 wirds einfacher. Am Ende des zweiten Stints und nach sechs Wiederholungen klammere ich mich an diesen Strohhalm. Ich komme am Basislager an. Die Familie ist ausgeflogen und ich merke, wie mir – wie gewohnt – das Essen schwerer fällt. Es ist jetzt 14:30 Uhr. Die Sonne brennt und ich bereite mich mit dem weißen Trikot des RSV auf die heißesten Auffahrten des Tages vor.

Die Sonne hat Erbarmen

Wären da nicht die Fliegen. Wiederholung sieben und acht vergehen relativ Ereignislos. Abgesehen von einem kurzen Computer- und damit verbundenen Herzstillstand. Der Garmin fängt sich, etwas zu spät merke ich, dass er die Aktivität gestoppt hat. Ich verliere gut 100 Höhenmeter in der Aufzeichung. Das wird sich wohl korrigieren lassen. Im oberen Teil des Anstiegs zähle ich die Kurven. Die Anfahrten auf Kurve fünf und vier sind gleichmässig steil und sehr lang. Danach ist man schon fast oben…

Die Sache mit dem Essen

In der letzten Pause um 18:30 Uhr kann ich nichts mehr Essen. Die Energieversorgung habe ich auf Cola umgestellt. Ein letztes und einziges Gel ist für den Notfall in der Trikottasche. Immerhin wird es kühler. An Kurve drei angekommen weiß ich immer: Nur noch dieses Elend lange Stück zur zwei und dann konstant weitertreten und Kräfte sammeln für das letzte Stück. Die vorletzte Auffahrt läuft dafür erstaunlich gut. Die Menschen oben im Dorf strömen in die Restaurants. Die Straße ist leer. In einer rasanten Abfahrt in der Abenddämmerung fahre ich zum ersten Mal am Basislager vorbei und komplett nach unten.

From Dawn till Dusk

Das abendliche Alpenglühen hat begonnen und ich weiß, dass ich in die Dunkelheit fahre. Im Aufstieg packe ich noch die Beleuchtung im Basislager ein und trinke einen Schluck Cola. In den Flaschen ist nur noch Wasser aber der Magen will nicht mehr. Ich erreiche Kurve eins im grellen Licht meines Scheiwerfers. Der Endgegner erwartet mich. Zwei kurze aber steile Rampen mit zweistelligen Steigungsprozenten. Wiegetritt. 1:1 Übersetzung. Ein letzter Kraftakt. Ich rolle auf die Lichter des Skiorts Risoul mit seiner Tour de France Ankunft auf 1875 Metern Seehöhe zu. Am Ortseingangsschild zeigt der Computer 8848m an. Es ist geschafft.

Ein Bisschen Stolz

Zu erschöpft um mich wirklich zu freuen bringe ich den letzten Anstieg zuende. Es sind nur noch ein paar Höhenmeter bis ins Dorf und die Kollegen von everesting.cc haben wärmstens empfohlen ein paar Meter zu Sicherheit oben drauf zu legen. Ich halte für ein kurzes Selfie am Schild das das Ende des Anstiegs markiert an. Dann geht es zurück zum Basislager. Die Familie erwartet mich. Es gibt Linsensuppe.

Infusionen

Aber nach zwei Löffeln merke ich: Das wird nichts mehr. Ich bin völlig ausgepumpt. Die Beine, der Kopf sind leer, der Magen auch aber er verhindert auch, dass er wieder befüllt wird. Nach einer Stunde im Bett wache ich schweißgebadet und wahrscheinlich dehydriert auf. Der Weg zur Küche endet schon auf dem Boden neben dem Bett. Meine Frau bringt mir Wasser. Das hilft. Die Linsensuppe frühstücke ich ein paar Stunden am nächsten Morgen. Baguette, Müsli, Chickennuggets. Der Computer zeigt knapp 10000 verbrauchte kcal an. Nächstes Mal nehme ich jemanden mit, der mir Abends eine Glukose-Infusion legt.

Noch mal…

Mit etwas Abstand und der Eintragung in der Hall of Fame wird mir klar, dass ich das vielleicht nicht das letzte Mal gemacht habe. Lustigerweise wurde meine Aktion als Erstbefahrung gewertet. Obwohl der Anstieg für mich fast ideal ist, scheint er nicht genug Verrückte anzuziehen um schon einmal für ein Everesting genutzt worden zu sein. Fahre ich noch Mal hier? Suche ich einen neuen Berg? Unterstütze ich Freunde bei ihrem Versuch? Egal was kommt, ein gut ausgestattetes Basislager ist Gold wert.

8848 the FAQ

Falls jemand auf die Idee kommen sollte…

Warum hast du das gemacht?
Ich habe wirklich keine Ahnung.

Hast du dich vorbereitet?
Speziell hierfür? Tatsächlich nicht. Das Everesting stand am Ende eines Trainingszyklus für das Marmotte Granfondo Alpes [citation needed] und Rad Am Ring [citation needed]. Mit ein Bisschen Glück haben hier die Phasen aus langem Grundlagentraining im Frühling. Höhenakklimatisierung und Höhentraining nach dem Marmotte und der Ausdauerfahrt am Nürburgring aber sehr gut zusammen gepasst.
Nach den 300km und 6700 Höhenmetern am Nürburgring hatte ich dann das Gefühl, dass zum Everesting nicht mehr so viel fehlt. In den zwei Wochen dazwischen bin ich dann nur 300 relativ lockere Grundlagenkilometer gefahren.

Nur das?
Ich habs fast vergessen. Mit einem Team von der TU Dortmund arbeite ich gerade an einer Studie im Ausdauersport. In diesem Rahmen haben wir nebenher meinen Fettstoffwechsel ziemlich exakt vermessen. Ich wusste also sehr genau, in welchem Leistungs- und Pulsbereich ich fahren muss, um konstant viel Energie aus dem Fettstoffwechsel zu beziehen und wenig Kohlenhydrate zu verheizen. Die Daten haben sich schon bei Rad am Ring als ziemlich wertvoll erwiesen. Ohne dieses Wissen hätte ich mehrere Anläufe gebraucht.

Was hast du mitgenommen?
Alles und nichts. Im Feriendomizil (Basislager) habe ich Teile um daraus ein neues Fahrrad zu basteln. Auf dem Rad hatte ich tatsächlich meist nur eine kleine Flasche und ein Tubeless-Reparaturset mit. Der Vorteil, wenn man im Grunde von jedem Punkt der Tour in einer Stunde zu Fuß nach Hause käme. Obs was bringt, keine Ahnung. Aber es fühlt sich besser an.

Was hast du gegessen?
Fünf Bananen, sieben belgische Waffeln, ein Baguette, ein Bisschen Käse und natürlich Haferbrei zum Frühstück. Getrunken habe ich ca. 5 Liter Wasser mit knapp 500g Kohlenhydraten, ein alkoholfreies 1664 und zwei kleine Flaschen Cola.

Wie hat sich das angefühlt?
Erstaunlich egal. Ich glaube ein Vorteil war, dass der Montée de Risoul – trotz seiner mäßigen Bekanntheit – ein recht ikonischer Berg ist. Jedes Mal wenn man oben ist, hat man etwas geschafft. Ich kenne den Berg gut und habe mir Wegpunkte gesetzt. Alles Andere war dann recht meditativ. Vor allem zu den Zeiten, als wenig Verkehr (und Fliegen) mich gestört haben.

Würdest du beim nächsten Mal etwas anders machen?
Bei nächsten Mal… Lol. Naja, tatsächlich denke ich mit ein paar Tagen Abstand … lassen wir das. Ich habe im Bericht über die Glukoseinfusion geschrieben und das war schon etwas ernst gemeint. Ich kenne das Problem mit dem Essen. Wird die Belastung zu lang, geht das nicht mehr. Ich schiebe diesen Punkt von Jahr zu Jahr weiter nach hinten. War Früher nach vier Riegeln Schluss, bin ich nun bei fast einem kg Kohlenhydrate, die ich an einem solchen Tag konsumiere. Aber 10000 kcal ausgleichen?
Ich glaube ich war extrem dehydriert und möglicherweise Abends dann auch stark unterzuckert. Bei nächsten Mal würde ich mir eine Auswahl von Dingen und vor allem genug Wasser ans Bett stellen. Die Erschöpfung kam spät, aber dann mit voller Wucht.

Hast du noch Tipps?
Bei Rad am Ring habe ich gelernt, wie wichtig es ist auf seinen A… llerwertesten zu achten. Die schlechte Erfahrung noch im Kopf habe ich regelmäßig zwischendurch die Hosen gewechselt und geduscht. Schweiß lässt Salz zurück und Salz im Sitzpolster führt zu unschönen Gefühlen. Das konnte ich dieses Mal vermeiden.